OMAS GEGEN RECHTS haben für kommenden Samstag, den 12.09.20 um 14:00 Uhr am Hauptbahnhof eine Protestmahnwache angemeldet, gegen die Demo der Querdenker611/ Corona-Leugner*innen, die in den Reisinger Anlagen stattfindet.

Schließen wir uns dem Protest an!

Verschwörungsideologische Mobilisierung in Wiesbaden

Seit Ende April treten auch in Wiesbaden Corona-Leugner*innen und selbsternannte „Rebellen“ in Erscheinung. Regelmäßig finden seitdem Kundgebungen statt und samstags wie sonntags versammeln sich Verschwörungsgläubige in der Innenstadt. Wenngleich bisher nur vereinzelt bekannte Gesichter rechter Mobilisierung in der Region aufgetaucht sind, so sind die aktuellen Entwicklungen keinesfalls Resultate harmloser Spinnereien. Inhaltliche Überschneidungen zur extremen Rechten finden sich überall. Über die letzten Wochen lässt sich außerdem eine zunehmende Organisierung und Radikalisierung auch in Wiesbaden, sowie eine zunehmende überregionale Vernetzung beobachten.

Unter den ersten, die zu einem „Spaziergang“ aufgerufen haben, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren, waren alte Bekannte: Die Initiator*innen der gescheiterten „Gelbwesten“ in Wiesbaden, welche unter dem Namen „WirSindVielMehr“ (WSVM) agieren. Nach den Feigenblättern soziale Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit, nach Hetze gegen Geflüchtete und Linke setzt WSVM nun auf die Corona-Krise als zentrales Thema. Recht schnell entstanden von WSVM unabhängige Gruppen. Die Ersten, die sich dabei dem Thema Corona widmeten, waren die selbsternannten „Corona Rebellen“.

Inhaltlich findet sich hier, wie auch in den anderen Gruppen der in Wiesbaden aktiven Corona-Leugner*innen, eine Melange an unterschiedlichen Verschwörungserzählungen: von Corona als Erfindung, einer drohenden Impfpflicht, Zwangsimplantierung von Microchips, dem neuen Mobilfunkstandard 5G als Hirnschäden/Unfruchtbarkeit/Genozid verursachende Waffe bzw. globales Überwachungsregime, etc. Die vorherrschenden Feindbilder sind dabei Bill Gates, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Virologe Christian Drosten. Mehr noch finden sich Bezüge zur Verschwörungsideologie „QAnon“: Dieser zufolge berichte eine Person oder Personengruppe unter dem Pseudonym „Q“, mit Insiderwissen aus dem Weißen Haus, in kryptischen Onlinebotschaften über den Kampf gegen den „Deep State“, gegen eine Gruppe global agierender, mächtiger Verschwörer*innen, die den Corona-Lockdown genutzt habe, um Kinder systematisch sexuell zu missbrauchen bzw. aus ihnen ein Stoffwechselprodukt (Adrenochrom) zur Erlangung ewiger Jugend zu gewinnen.

Ein samstags in Wiesbaden als Mahnwache betriebener Infostand enthält eine Leine mit Karikaturen, Schaubildern und Zitaten. Letztere zeigen deutlich, welche Themen neben Corona hier vorherrschen: So wird die extrem rechte, antisemitische Verschwörungserzählung bedient, nach der George Soros, ein US-amerikanischer Investor und Philanthrop jüdischer Herkunft, in „westliche Gesellschaften“ eingreife, um diese zu destabilisieren und absurder Weise damit seine Macht auszubauen. Mit einem gefälschten Zitat wird zu belegen versucht, dass Soros hinter den Black-Lives-Matter-Protesten in den USA stecke, diese also gelenkt wären und seinem Plan dienen würden.

Wie zu Gelbwesten-Zeiten lässt sich beobachten, dass zunehmend Menschen von außerhalb an den Kundgebungen in Wiesbaden teilnehmen. Angekündigt wurde bei einer Kundgebung am 16.08.2020 eine stärkere Vernetzung im gesamten Gebiet von Rhein, Main und Neckar. Eine Großdemonstration ist für den 12.09.2020 auf der Reisinger Anlage geplant: 2.000 Leute sind angemeldet. Wenngleich sich die Zahl der Teilnehmenden bisher unter oder um 100 bewegte, droht die Attraktivität der Querdenken-Kundgebung zuzunehmen.

In Anbetracht der teils absurd wirkenden Verschwörungserzählungen, dem oft esoterischen Einschlag und der Feigenblatt-Forderungen nach Frieden, Freiheit, Menschlichkeit und Liebe erscheinen die „Corona Rebellen“ vielen als harmlose Wirrköpfe. Tatsächlich durchzieht das Verschwörungsdenken weiter Teile der Corona-Leugner*innen das antisemitische Grundmuster einer globalen Elite, welche die Geschicke der Welt zu ihren Gunsten lenke und vor mörderischen Konsequenzen nicht zurückschrecke. Vor einem solch existenziellen Bedrohungsszenario scheint jedes Mittel recht. Schließlich gehöre man auf die Opferseite, die jedes Recht habe sich gegen die Täter zur Wehr zu setzen. Dass ein solches Denken tödliche Konsequenzen haben kann, zeigen nicht zuletzt die antisemitischen bzw. rassistischen Anschläge von Halle und Hanau, denen 12 Menschen zum Opfer fielen.

Hinzukommend geht auch eine abstrakte, aber dennoch besorgniserregende Gefahr von den Corona-Leugner*innen aus: Sie negieren die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen im Rahmen einer globalen Pandemie. Bei ihren Kundgebungen werden diese nicht eingehalten: Den von ihnen als „Maulkorb“ bezeichneten Mund-Nasen-Schutz sieht man nur selten, Abstände werden nicht eingehalten bzw. offen als sinnlos negiert, zur Begrüßung wird sich fleißig umarmt. Ein Einschreiten der Sicherheitsbehörden konnte hier noch nicht beobachtet werden.

Insgesamt zeigt sich, dass die aktuelle Mobilisierung nicht bloß zu belächeln ist. Hier hat sich über die letzten Monate vielmehr ein Resonanzboden für allerlei Verschwörungsmythen und ihre Anhänger*innen gebildet, der sich wohl nicht von selbst erledigen wird. Es zeigte sich, dass die Kundgebungen Menschen aus unterschiedlichen Milieus und mit unterschiedlichen politischen Selbstzuschreibungen erreichen: Von Anhänger*innen der GRÜNEN, der SPD, über Rentner*innen, Künstler*innen bis hin zu Mediziner*innen, Anhänger*innen von Trump und Putin, der AfD, von Esoterik und antisemitischen Verschwörungsideologien bis hin zur extremen Rechten. Eine solche Querfront erinnert an die Montagsmahnwachen von 2014-2015 und birgt die Gefahr, dass sich Menschen in ihr weiter radikalisieren.

Neben vereinzeltem Gegenprotest und einigen wenigen Interventionen scheint noch keine nachhaltige Antwort auf die Mobilisierungen der Corona-Leugner*innen in Wiesbaden gefunden worden zu sein. Die Gefahr, die von einem solchen Milieu von Verschwörungsgläubigen ausgeht, darf nicht unterschätzt werden!

Bis hierher sollte eigentlich klar sein – dennoch weisen wir noch einmal darauf hin -, dass Leute, die ohne Skrupel zusammen mit Reichsbürger*innen, Identitären, Rassist*innen, Antisemit*innen, Alt- und Neonazis demonstrieren, definitiv nicht auf unserer Seite stehen! Freiheit bedeutet für sie nur die Freiheit andere anstecken zu dürfen. Meidet sie, werft sie aus eurem Freundeskreis, aus Kneipen, Treffpunkten, Geschäften.

Eine umfassende Analyse der Recherchegruppe Wiesbaden und Umgebung findet ihr hier: https://rewiu.noblogs.org/post/2020/08/26/mehr-als-schief-gewickelt/

Wer am Samstag, den 12.09.20 kann unterstütze den Protest der OMAS GEGEN RECHTS