Corona- Aspekte gesellschaftlicher Konsequenzen …

Covid-19 ist zweifellos eine Gefahr, die alle bedroht – und doch wirkt sich der Virus nicht für alle gleich aus. So trifft die Pandemie Menschen in unterschiedlichsten Lebensrealitäten. Ein entscheidender Faktor bezüglich der gesellschaftlich-sozialen Ebene der Seuche, vor allem für die, die schlechtere Lebens- und Ausgangsbedingungen haben. Die gesellschaftlichen ökonomisch-sozialen Verwerfungen treten mit jedem Tag der Krise stärker zu Tage. Prekär Beschäftigte, die nun entlassen werden, Künstler*innen, deren finanziell auf Kante genähtes Gewerbe den Bach runter geht, kleine Gewerbetreibende die ohne Umsatz Miete und Kosten nicht mehr tragen können. Ganz zu schweigen von Menschen auf der Flucht, in Lagern, auf der Straße und ohne grundsätzliche Versorgung. Solidarität und gegenseitige Hilfe sind notwendiger denn je! Wir leben in einer Gesellschaft, die im internationalen und auch europäischen Vergleich zwar über soziale Sicherungssysteme verfügt, in der es jedoch trotzdem Alltag ist, dass zigtausende Menschen dauerhaft auf Tafeln und Teestuben angewiesen sind, um überleben zu können. In einer Gesellschaft, die im Normalbetrieb Millionen Menschen dazu zwingt, durch schlechtbezahlte prekäre Jobs ihr Leben zu finanzieren und Rentner*innen massenhaft in die Altersarmut treibt. Eine Gesellschaft, in der massenhaft privatisierte Krankenhäuser auf Kosten der Gehälter von Beschäftigten und auch an der Versorgung von Patient*innen sparend ihren Gewinn erwirtschaften. Um nur ein paar wenige Beispiele gesellschaftlicher Normalität zu nennen. In einer Krisensituation wie der jetzigen eskalieren die beschriebenen negativen Bedingungen – deutlich und dramatisch treten die Defizite einer an Maximen des Wachstums und der Profitmaximierung orientierten Gesellschaft  zu Tage. Krankenhauspersonal, das im Normalbetrieb am Rande der Möglichkeiten, schlecht bezahlt und ohne wesentliche Reserven arbeitet, wird die erhöhten Anforderungen bewältigen müssen. Ein Unterfangen, das trotz heroischem Einsatz immer suboptimal bleiben muss und das Menschenleben kosten wird. Geschlossene Tafeln und Teestuben lassen Menschen ebenso verzweifeln, wie diejenigen, deren ökonomische Grundlagen nun wegbrechen und die bei geringstem Einkommen eben keine finanziellen Rücklagen anlegen konnten. Die sozial-ökonomischen Verwerfungen sind weitreichend und bergen die Gefahr einer Dynamik, in der sich die Menge der Deklassierten und der an den Rand der Gesellschaft gedrängten Armen massiv vergrößert. Völlig vergessen werden diejenigen, die schon vor Corona zu „unwichtig“ waren, um ihnen wenigstens ein Mindestmaß an humanitären Rechten zu garantieren. Geflüchtete, darunter tausende mangelernährte und kranke Kinder, werden an Europas Grenzen in Lager gepfercht, isoliert und einem ungewissen Schicksal überlassen. Jedwedes  humanitäre Handeln, jede Unterstützung wird aufgegeben, Regierungen entsorgen fraglich vorhandene Reste moralischer Ansprüche praktischerweise vor dem Hintergrund der Pandemie. De facto setzen sie die ausgrenzende rassistische Position rechter Populist*innen in reale Politik um, die Geflohene zur „Flut“ und „Welle“ bedrohlich umdefinieren. Nie war es leichter unmenschlich-autoritär zu regieren als zur Zeit, mit der Krise im Rücken.   

Covid-19 ist zweifellos eine ernste Gefahr für Leib und Leben. Die Pandemie zwingt zu weitreichenden Maßnahmen mit dem Ziel, ihre Ausbreitungsgeschwindigkeit zu verringern, um lebensbedrohliche Verläufe möglichst behandelbar zu halten. Soweit so klar, notwendig und schwierig genug. Eine weitere, ebenso gefährliche Ebene der Pandemie, zeigt sich jedoch in der angesprochenen ökonomischen und sozialen, gesellschaftlichen Dimension. Auch die massive Beschneidung von Bewegungsfreiheit, die verstärkten Kontrollen und Überwachung, der uneingeschränkte Einsatz von Polizei und Militär in vielen Ländern Europas, ist hochproblematisch. Momentan durch die Auswirkungen der Pandemie pragmatisch begründbar, bergen die Maßnahmen die Gefahr, zum (Ein-) Übungsfeld für autoritär-staatliche Maßnahmen zu werden. Ein gefundenes Fressen für Autokrat*innen und Anhänger*innen eines straffen staatlichen Gesellschaftsmanagements – tunlichst ohne störende kritische Fragen von Seiten der Betroffenen. Einsetzbar für gesellschaftliche Krisen aller Art – auch ohne Seuchenszenario. Eine Gefahr, der mit großer Wachsamkeit und Abwehrbereitschaft begegnet werden sollte. In diesem Sinne ist zu hoffen, dass im Verlauf der Auseinandersetzung mit Corona nicht nur die Immunabwehr gestärkt wird, sondern ebenso die Aufmerksamkeit und die Auseinandersetzungsbereitschaft mit den ökonomisch-sozialen Missständen im System gesellschaftlichen Funktionierens. 

Corona bekämpfen- solidarisch und menschlich handeln.

Dr. Michael Wilk, März 2020

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