Pressemitteilung
Wiesbaden: Versammlungsbehörde jenseits von Recht und Gesetz?
Wir, die Initiative „Der 8. Mai muss ein Feiertag werden“, sind ein breites Bündnis aus der Zivilgesellschaft. Wir haben am 8. Mai in Wiesbaden eine Demonstration und Kundgebung zum Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus durchgeführt. Die Demo wurde von uns am 1. März 2025 bei der Versammlungsbehörde mit erwarteten 750 Teilnehmer*innen angezeigt. Dabei wurde von uns eine Zwischenkundgebung am Mahnmal der deportierten und ermordeten Wiesbadener Sinti und Roma angekündigt. Um ein würdevolles Gedenken mit Schweigeminute, einer Rede der Sinti Union Hessen und dem Ablegen von Blumen und Kerzen zu ermöglichen, haben wir die beidseitige, halbstündige Sperrung der Bahnhofstraße und die Absperrung von Parkbuchten vor dem Mahnmal beantragt.
Die Versammlungsbehörde erließ am 05.05.2025 – drei Tage vor der Kundgebung – eine Beschränkungsverfügung, in der unser Anliegen mit keinem Wort erwähnt wurde. Im Begleitschreiben zur Verfügung wurde ausgeführt, dass über die Sperrung der Bahnhofstraße von der Polizei vor Ort lageabhängig entschieden werde und für die Absperrung der Parkbuchten vor dem Mahnmal nach Rücksprache mit der Straßenverkehrsbehörde keine Rechtsgrundlage bestehe.
Wir sind empört und finden es für die Landeshauptstadt Wiesbaden beschämend, dass ein würdevolles Gedenken an die deportierten und ermordeten Wiesbadener Sinti und Roma anscheinend nicht erwünscht ist. Wir bewerten das Verhalten der Versammlungsbehörde als Beleg für die nach wie vor bestehende Diskriminierung und Ausgrenzung von Sinti und Roma.
Erst die Einlegung eines Widerspruchs und ein Eilantrag an das Verwaltungsgericht Wiesbaden ermöglichten es uns, die Zwischenkundgebung wie gewünscht durchzuführen.
Das VG-Wiesbaden attestierte der Verfügung der Versammlungsbehörde eine fehlende Gefahrenprognose und den Nichtgebrauch von Ermessen. Die Verfügung leide an einem unheilbaren Fehler und sei voraussichtlich rechtswidrig. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wurde wiederhergestellt.
Da alle uns bekannten Verfügungen der Versammlungsbehörde aus den letzten Jahren mit dem gleichen Fehler behaftet sind und damit rechtwidrig sein dürften, sowie weitere Kritikpunkte, die an der Praxis der Versammlungsbehörde bestehen, haben wir die zuständige Dezernentin, Frau Maral Koohestanian und den Oberbürgermeister, Herrn Gert Uwe Mende, angeschrieben und ein Gespräch über dieses Thema gefordert. Ziel des Gesprächs ist eine grundlegende Neuausrichtung der Entscheidungspraxis der Versammlungsbehörde. Dieses Schreiben, die Beschränkungsverfügung nebst Begleitschreiben, der Eilantrag und der Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden sind als Anlagen beigefügt.
Für Rückfragen stehe ich per E-Mail (….) oder telefonisch (….) zur Verfügung.
Uwe Remus (für die Initiative “Der 8. Mai muss ein Feiertag werden“).
Wiesbaden, den 19.Mai 2025
Im folgenden das Schreiben an den OB und die Dezernentin
An die Landeshauptstadt Wiesbaden
Frau Dezernentin Maral Koohestanian
Herr Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende
Betreff: Gespräch über Entscheidungspraxis der Versammlungsbehörde Wiesbaden
Sehr geehrte Frau Dezernentin Koohestanian, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Mende,
wir, die Initiative „Der 8. Mai muss ein Feiertag werden“, fordern zeitnah ein Gespräch mit Ihnen über die rechtswidrige Praxis der Wiesbadener Versammlungsbehörde mit dem Ziel einer grundlegenden Neuausrichtung der Entscheidungspraxis.
Wir sind ein breites Bündnis aus der Zivilgesellschaft. Wir haben am 8. Mai 2025 in Wiesbaden eine Demonstration und Kundgebung zum Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus durchgeführt. Als Anlagen sind unser Flyer und die Artikel aus dem Wiesbadener Kurier vom 3.5. und 10.5.2025 beigefügt.
Wir haben die Demo am 1.3. 2025 bei der Versammlungsbehörde angezeigt und mitgeteilt, dass wir 750 Teilnehmer*innen erwarten. In der Anzeige haben wir ausgeführt, dass wir eine Zwischenkundgebung mit Schweigeminute, einer Rede der Sinti Union Hessen und dem Ablegen von Blumen und Kerzen am Mahnmal für die deportierten und ermordeten Wiesbadener Sinti und Roma am Geschwister Stock Platz machen werden. Hierzu müsse die Bahnhofstraße für eine halbe Stunde beidseitig gesperrt werden. Für ein würdevolles Gedenken sei außerdem die Absperrung der Parkbuchten vor dem Mahnmal erforderlich.
Am 5.5. 25 – drei Tage vor der Demo – erließ die Versammlungsbehörde eine Beschränkungsverfügung, in der unser Anliegen hinsichtlich der Zwischenkundgebung mit keinem Wort erwähnt wurde. Im Begleitschreiben wurde ausgeführt, dass die Sperrung der Bahnhofstraße lageabhängig von der Polizei vorgenommen würde. Nach Rücksprache mit der Straßenverkehrsbehörde bestünde keine Rechtsgrundlage für eine Absperrung der Parkbuchten vor dem Mahnmal. Als Anlage ist die Beschränkungsverfügung nebst Begleitschreiben beigefügt.
Wir sind empört und finden es für die Landeshauptstadt Wiesbaden beschämend, dass ein würdevolles Gedenken an die deportierten und ermordeten Sinti und Roma anscheinend nicht gewünscht wird. Wir bewerten dies als Beleg für die nach wie vor bestehende Diskriminierung und Ausgrenzung der Sinti und Roma.
Die Aussage, dass für die Sperrung der Parkbuchten vor dem Mahnmal der deportierten und ermordeten Sinti und Roma keine Rechtsgrundlage bestünde kollidiert sowohl mit der Rechtslage als auch mit der Realität.
Sie, Herr Oberbürgermeister Mende, haben am 8. März 2025 auf der Gedenkfeier vor dem gleichen Mahnmal, bei der ich auch anwesend war, eine engagierte Rede gegen Ausgrenzung und Diskriminierung gehalten. Für die ca. 30 Teilnehmer*innen, waren 5 Parkbuchten vor dem Mahnmal freigesperrt worden. Die Versammlungsbehörde und die Straßenverkehrsbehörde hatten an diesem Tag offensichtlich eine Rechtsgrundlage gefunden. Der laufende Straßenverkehr wirkte mit seinen Geräuschen störend auf die Gedenkfeier.
Wir haben gegen die Verfügung unter großem – von der Versammlungsbehörde verursachtem-Zeitdruck am 5.5.2025 Widerspruch eingelegt und am 6.5.2025 einen Eilantrag beim VG-Wiesbaden eingereicht. Mit Beschluss vom 7.5.2025 hat das VG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt. Als Anlagen sind der Eilantrag und der Beschluss des VG-Wiesbaden nebst Kopie der Verwaltungsakte beigefügt.
Letztendlich konnten wir die Zwischenkundgebung mit 350 Teilnehmer*innen bei beidseitiger Sperrung der Bahnhofstraße wie gewünscht durchführen. Die Parkbuchten vor dem Mahnmal waren jedoch teilweise von parkenden Pkw belegt. Wir erwarten nächstes Jahr, am 8.5. 2026, eine frühzeitige Absperrung der Parkbuchten und eine beidseitige Sperrung der Bahnhofstraße.
Das VG-Wiesbaden hat in dem Beschluss ausgeführt, dass die Verfügung keine Ausführungen darüber enthalte, warum von der Demonstration eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen solle. Es liege ein im weiteren Verfahren nicht heilbarer Ausfall des Ermessens vor. Es sei von einer Rechtswidrigkeit der Verfügung auszugehen.
Die Beschränkungsverfügung vom 5.5.2025 ist kein Einzelfall. Uns liegen vier weitere Verfügungen der Versammlungsbehörde Wiesbaden seit dem in Kraft treten des sog. Hessischen Versammlungsfreiheitsgesetzes (HessVersFG) vor. Alle Verfügungen leiden unter dem gleichen Mangel, der fehlenden Gefahrenprognose und des Ausfalls von Ermessen. Die Verfügung vom 7.7.2023 betreffend eine Demonstration anlässlich der letzten öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses des Hessischen Landtags zu den rassistischen Morden in Hanau stützt sich zudem auf die Befugnis-Norm des Versammlungsgesetzes des Bundes . Diese Norm war mit dem in Kraft treten des sog. HessVersFG, Anfang April 2023, in Hessen nicht mehr anwendbar. Hiergegen läuft seit Juli 2023 vor dem VG-Wiesbaden ein Verfahren als Fortsetzungsfeststellungsklage unter dem Az. 2K 1155/23.Wi.
Es liegt nahe, dass alle Verfügungen der Versammlungsbehörde aus den letzten Jahren mit schweren, unheilbaren Fehlern behaftet sind und die Rechtswidrigkeit mit der Beschränkungsverfügung vom 5.5.2025 teilen.
Das BVerfG hat in der Brokdorf-Entscheidung vom 14.5.1985, Az. 1 BvR 233/81, ausgeführt, dass die Versammlungsfreiheit zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gehöre und Versammlungen als ein Stück ursprünglicher, ungebändigter, unmittelbarer Demokratie bezeichnet.
Wir müssen konstatieren: Die Brokdorf-Entscheidung des BVerfG hat die Versammlungsbehörde auch nach 40 Jahren nicht erreicht. Für sie ist -ausgehend von einem vordemokratischem Weltbild- jede Versammlung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Anders lässt sich der Totalausfall der Gefahrenprognose und des Ermessens nicht erklären.
Auch die Priorisierung des Straßenverkehrs gegenüber Versammlungen und die Begrenzung der Lautstärke von Reden über die Lautsprecheranlage, die in allen Beschränkungsverfügungen auftauchen, weisen in diese Richtung. Nach den Vorstellungen der Wiesbadener Versammlungsbehörde sollen Versammlungen unauffällig und leise sein und den „normalen“ Lauf der Dinge nicht stören.
Die Behörde erlässt zudem ihre Verfügungen regelmäßig wenige Tage vor den Versammlungen, um den Rechtsschutz zu verunmöglichen bzw. zu erschweren.
Sie sehen, es ist dringend erforderlich, über die Versammlungsbehörde Wiesbaden zu sprechen und eine grundlegende Kurskorrektur der Entscheidungspraxis herbeizuführen.
Das Gespräch sollte folgende Themenkomplexe umfassen:
- Beschränkungsverfügung vom 5.5.2025 und Ausblick auf den 8.5. 2026
- Verzicht auf den Erlass von Beschränkungsverfügungen im Regelfall
- In Ausnahmefällen Erlass von Beschränkungsverfügungen mit substantiierter Gefahren-prognose und Ausübung von Ermessen
- Verfassungskonforme Auslegung von § 14 des sog. HessVersFG mit Priorisierung der Versammlungsfreiheit und der Autonomie von Versammlungen gem. der Rechtsprechung des BVerfG, Art 14 Hessischer Verfassung und der Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs vom 6.3. 2025, Az.P.St.2920 zum sog. HessVersFG
Dies impliziert:
- Vorrang der Versammlungsfreiheit vor der Leichtigkeit des Straßenverkehrs
- Sicherstellung der Wirkung von Versammlungen über den Teilnehmer*innenkreis hinaus, durch angemessene Grenzwerte jenseits der Grenzwerte der TA-Lärm für die Lautstärke von Redebeiträgen über Lautsprecheranlagen
- Einsatz von Ordner*innen als alleinige Entscheidung der Versammlung und der
Versammlungsleitung
- Berücksichtigung des subjektiven Tatbestandes im Wortlaut der Verfügungen bei Anordnungen zum. sog. „Vermummungsverbot“ und dem Mitführen von sog. „Schutzgegenständen“ (vgl. Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofes vom 6.3.25, Az. PSt. 2920).
- Einwirkung auf die Landespolizei: Einsatz der Polizei bei Versammlungen ausschließlich zur Regelung des Straßenverkehrs
- Bekanntgabe von Beschränkungsverfügungen an die Betroffenen mindestens zwei Wochen vor dem Termin der Versammlung zur Ermöglichung von Rechtsschutz
Weil wir eine breite, öffentliche Debatte in der Gesellschaft wollen und um hierfür Transparenz herzustellen, haben wir zur Beschränkungsverfügung vom 5.5.2025 eine Pressemitteilung herausgegeben, in der auch unsere Forderung eines Gesprächs mit Ihnen erwähnt wird. Diese ist als Anlage beigefügt.
Wir würden zu dem Gespräch mit mehreren Personen aus unserer Initiative kommen. In Erwartung eines Terminvorschlags Ihrerseits.
Mit freundlichen Grüßen
Uwe Remus, Wiesbaden, den 19.05.2025
(für die Initiative “Der 8. Mai muss ein Feiertag werden“)