Rede zur Fahrraddemo am 30. Juni 2020 in Wiesbaden

Hallo Leute,

ich begrüße euch alle ganz herzlich zu unserer Fahrraddemo für eine Verkehrswende in Wiesbaden.

Ralf Dreis, AKU Wiesbaden

In den letzten Monaten wurden während des Corona-lockdown endlich Schritte unternommen, den tagtäglichen Verkehrsinfarkt in Wiesbaden zu beenden.

Die neuen Fahrradwege und Busspuren begrüßen wir sehr.

Wer jedoch glaubt, das verheerende Ausmaß des Klimawandels sei allen Rathausparteien endlich bewusst geworden, irrt.

Wer glaubt, die Rathauskooperation handele aus umweltpolitischer Überzeugung, irrt.

Allein die Unverfrorenheit, mit der in Zeiten des Corona-lockdown, heimlich still und leise, das Genehmigungsverfahren für ein Müllheizkraftwerk in Wiesbaden vorangetrieben wurde und wird, beweist das Gegenteil.

Aus Profitinteresse soll Müll verbrannt und in Energie umgewandelt werden, anstatt endlich weniger Müll zu produzieren. Im Rhein-Main-Gebiet existieren fünf oder sechs Müllheizkraftwerke, die bisher nicht ausgelastet sind. Mehr Müll bedeutet für diese Industrie mehr Profit. Und Profit scheint für viele Wiesbadener Politiker und Politikerinnen das zu sein was zählt. Sie haben noch immer nichts verstanden!

Ich erinnere hier gerne daran, dass schon vor Jahren die Rathausparteien in Mainz und Wiesbaden, zusammen mit der ESWE, aus Profitinteresse eine Dreckschleuder von Kohlekraftwerk auf die Ingelheimer Aue bauen wollten.

Mit vielfältigen Aktionen und Demonstrationen gelang es uns damals diese Pläne stoppen.

Heute nun versuchen Politik, ESWE und Knettenbrech/Gurdulic erneut aus Profitinteresse ein Müllheizkraftwerk zu bauen.

Wir werden ihnen erneut in die Suppe spucken! Und zwar so lange bis sie es verstanden haben. Unser Leben und unsere Gesundheit zählt mehr als ihr Machterhalt und ihre Profite.

Doch zurück zur Verkehrspolitik. Auch die nun erfolgten Maßnahmen zur Förderung des Bus- und Radverkehrs wurden nicht aus purer Überzeugung umgesetzt. Sie wurden ergriffen, um das drohende Dieselfahrverbot in Wiesbaden im letzten Moment abzuwenden. Deshalb haben CDU und SPD die neuen Radwege und Busspuren geschluckt.

Doch sei´s drum, es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir freuen uns darüber und wir wollen mehr!

Um einer wirklich neuen Verkehrspolitik zum Durchbruch zu verhelfen, ist es nötig die Straßenbahn für Wiesbaden endlich durchzusetzen! Gegen eine Beton- und Autolobby, die sich seit 30 Jahren darauf konzentriert das umweltfreundliche Verkehrsmittel Stadtbahn zu verhindern.

Wir denken, diese nun endlich durchzusetzen, das kann uns gelingen.

Und zwar dann, wenn alle politischen und umweltpolitischen Kräfte, die den Bau einer Straßenbahn unterstützen, offen und entschieden für das Projekt eintreten und zweifelnde Bürger*innen mit guten Argumenten überzeugen!

Leider geschieht momentan das Gegenteil.

Aus Angst vor dem Verlust von Wähler*innenstimmen, wollen SPD und CDU das Thema „Citybahn“ aus dem Wahlkampf für die Kommunalwahlen im März nächsten Jahres heraushalten.

Deshalb soll in der Stadtverordnetensitzung in zwei Tagen, der Bürger*innenentscheid zur „Citybahn“ auf einen Termin im November diesen Jahres gelegt werden.

Dieses Datum ist zu früh, da wegen der Corona-Pandemie eine öffentliche Information und Mobilisierung nur eingeschränkt möglich sein wird.

Es ist zu befürchten, dass die mehr als 31.000 erforderlichen Ja-Stimmen für den Bürger*innenentscheid unter solchen Bedingungen nicht erreicht werden.

Wir als AKU-Wiesbaden setzen uns deshalb dafür ein, dass der Bürger*innenentscheid zusammen mit der Kommunalwahl im März 2021 durchgeführt wird.

Dann müssen alle Parteien klar Stellung beziehen, anstatt sich des Themas möglichst schmerzfrei entledigen zu können. Was momentan die Rathauskooperation aus CDU, SPD und Grünen versucht.

Einerseits wollen sie zwar formel bei ihrer Zustimmung zur Straßenbahn bleiben. Andererseits sich aber nicht in die nötige Auseinandersetzung mit den Gegner*innen des Projekts begeben. Denn die sitzen auch in der eigenen Partei.

Nehmen wir also die Verkehrswende selbst in die Hand! Gehen wir in die Auseinandersetzung mit den Parteien. Es ist unsere Stadt, unsere Zukunft und die Zukunft der kommenden Generationen.

Denn trotz der sich verschärfenden Klimakrise rasen Politik und Konzerne weiter mit Vollgas in Richtung Klimakollaps.

Und um es klar zu sagen, viel Zeit bleibt uns nicht mehr.

Schmelzende Gletscher, steigende Meeresspiegel, Dürren, Hitzewellen, Überschwemmungen, Artensterben – wir wissen es längst.

Die Klimakrise ist zerstörerische Realität auf der ganzen Welt. Sie wird auch hier in Wiesbaden gemacht – und betrifft vor allem den globalen Süden.

Dabei könnte die Verkehrswende hier längst in vollem Gange sein.

Wir vom AKU wollen eine menschenfreundliche und lebenswerte Stadt für alle. Eine Stadt mit Platz für Kinder und ältere Menschen. Eine Stadt für Fußgänger*innen, für Rollstuhlfahrer*innen, für Radler*innen.

Eine Stadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, bezahlbar für alle, und – das betonen wir – mittelfristig umsonst!

Durch kostenlosen ÖPNV und intelligente Stadtplanung kann die Innenstadt autofrei werden – mit sauberer Luft, grünen Plätzen und Vogelgezwitscher statt Blechlawinen.

Heute noch breite Straßen und riesige Parkplätze können in grüne Alleen und Plätze, Fuß- und Radwege umgewandelt werden.

Wir wollen mehr Natur im Alltag, belebte Plätze, Wasser in der Stadt. So entstehen Orte der Kommunikation und die Lebensqualität von Jung und Alt steigt.

Stellt es euch einfach vor: Skaten und Flanieren zwischen Bahnhof und Dernschem Gelände.  

Die Bahnhofstraße als reizvolle Visitenkarte der Stadt.

Lecker essen am frei fließenden Wellritzbach in der Wellritzstraße.

Stricken im Straßencafe in der verkehrsberuhigten Klarenthaler oder Straßenschach auf dem neuen Dorfplatz des Rheingauviertels rund um die Ringkirche.

All das ist möglich wenn wir den Individualverkehr aus der Innenstadt verbannen.

Die Straßenbahn betrachten wir dabei als das zukunftsweisende Infrastrukturprojekt. Sie kann zu einer erheblichen Steigerung der Lebensqualität führen, wenn die bisher geplante Streckenführung zukünftig auf das ganze Stadtgebiet und das Umland ausgedehnt wird.

Als AKU sind wir außerdem davon überzeugt, dass eine lebenswerte Zukunft für alle, nur durch die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit erreicht werden kann. Und dafür braucht es mehr als den sofortigen Kohleausstieg und eine Verkehrswende, die diesen Namen verdient.

Dafür braucht es einen radikalen gesellschaftlichen Wandel. Wir meinen: Ohne die Überwindung von Wachstumszwang, Profitmaximierung und Ausbeutung im Kapitalismus, ist weder die ernsthafte Bekämpfung der Klimakrise noch soziale Gerechtigkeit möglich.

Konkret für uns in Wiesbaden heißt das: Wir wollen nicht nur die Stadtbahn, wir wollen nicht nur absoluten Vorrang für Bus und Bahn, Radfahrer*innen und Fußgänger*innen. Wir wollen mehr. Wirklich attraktiv und sozial gerechter wird ein solches Verkehrskonzept erst mit der Durchsetzung des Nulltarifs im ÖPNV für alle.

Momentan fahren in Wiesbaden städtische Angestellte, hessenweit Landesangestellte und Verbeamtete kostenfrei. Dies ist ein Anfang. Wir möchten explizit betonen, dass es uns nicht um eine Neiddebatte geht, in der wir unterschiedliche Berufsgruppen gegeneinander stellen.

Doch wir sind nicht zufrieden, wenn in der Relation privilegierte Berufsgruppen umsonst fahren, während alle anderen in Bus und Bahn bezahlen müssen.

Die von uns geforderte Einführung eines allgemeinen Nulltarifs, verbessert gerade die Mobilität von Menschen mit geringem Einkommen. Ihre gesellschaftliche Teilhabe und Lebensqualität verbessert sich sofort spürbar. Deshalb: Nulltarif für alle bedeutet mehr soziale Gerechtigkeit.

Wem unser Konzept des allgemeinen Nulltarifs utopisch erscheint, sei in der Kürze auf folgende Beispiele verwiesen:

In Ljubljana, der Partnerstadt Wiesbadens und Hauptstadt Sloweniens ist seit Jahren die komplette historische Innenstadt für den Individualverkehr gesperrt. Für Bewohner*innen wie Tourist*innen gibt es einen kostenlosen Elektrotaxiverkehr.

In Tallinn, der Hauptstadt Estlands ist der gesamte ÖPNV seit 2013 umsonst.

Luxemburg ist das erste EU-Land in dem seit Januar 2020 der gesamte ÖPNV kostenlos ist.

In Amsterdam bringen Fähren täglich zehntausende Fußgänger*innen und Radler*innen kostenfrei vom Zentrum nach Nordamsterdam.

Auch in Frankreich und Deutschland gibt es mehrere kleinere Kommunen, in denen einzelne Buslinien oder der ganze ÖPNV umsonst verkehren.

In diesem Sinne: Lasst es uns gemeinsam angehen.

Die Straßenbahn für Wiesbaden endlich durchsetzen!

Bürger*innenentscheid zur Kommunalwahl am 14. März 2021.

Und dann Nulltarif im ÖPNV für alle!

Weitere Berichte:

https://www.hr4.de/programm/podcast/rhein-main/wiesbaden-fahrraddemo-fuer-verkehrswende-kurz-vor-dem-start-3006-1630,podcast-episode-71792.html

https://merkurist.de/wiesbaden/arbeitskreis-umwelt-radfahrer-wollen-fuer-citybahn-demonstrieren_Cc9

https://sensor-wiesbaden.de/verkehrswende-jetzt-citybahn-buergerentscheid-spaeter-fahrraddemo-fuer-verschiebung-auf-kommunalwahldatum/

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