Thessaloniki: Libertatia wiederaufbauen!
von Ralf Dreis
Das 2018 von Nazihooligans niedergebrannte anarchistische Zentrum Libertatia in Thessaloníki wird wiederaufgebaut. Es soll ein lebendiges Bollwerk des antifaschistischen Kampfes werden. An der Geschichte des Hauses wird deutlich, dass Thessaloníki nicht immer so griechisch und christlich-orthodox war, wie Nationalisten behaupten.
Seit dem Beginn der Hausbesetzung 2008 sind Aktivist*innen der Libertatia an den gesellschaftlichen Kämpfen in Thessaloníki beteiligt. Genannt seien hier nur die Solidaritätsaktionen mit Geflüchteten, der Kampf gegen die Sonntagsarbeit an der Seite von Basisgewerkschaften, oder die Verteidigung der von Räumung bedrohten selbstverwalteten Seifenfabrik Vio.Me, die seit 2012 von Arbeiter*innen besetzt ist.
Heute ist das ausgebrannte neoklassizistische Gebäude von einem hohen Metallzaun umgeben. Die leeren Fensterhöhlen laden nicht unbedingt zum Verweilen ein.
Während der nationalistischen Mobilisierung im Zuge des Namensstreits mit dem griechischen Nachbarstaat Nordmazedonien, hatte ein Mob von 150 Nazis und rechten Fußballhooligans, am 21. Januar 2018, das Libertatia angegriffen. Mehrere Nationalisten traten die Tür ein und legten Feuer im Inneren des Hauses, das bis auf die Grundmauern abbrannte.
Es gab keine Festnahmen, im Gegenteil. Die anwesenden Polizeitruppen geleiteten den Mob in der Folge zurück zur „Mazedonien ist griechisch“ Kundgebung. Auf der hatten sich 90.000 Nationalist*innen, rechtsextreme Organisationen, die inzwischen als kriminelle Vereinigung verurteilte Nazipartei Chrysí Avgí und große Teile des orthodoxen Klerus versammelt. Es ging einmal mehr um den seit 1990 schwelenden Streit beider Länder um das Anrecht auf den Namen Mazedonien. Wegen des Streits blockierte Griechenland die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen und den Nato-Beitritt des Nachbarlands. Im Juni 2018 einigten sich die Regierungen schließlich darauf, dass Letzteres künftig Nordmazedonien heißen solle.
Bereits zu Beginn der Kundgebung im Januar 2018 hatten rund 100 Nazis zunächst das besetzte soziale Zentrum „Schule zum Erlernen der Freiheit“ angegriffen, danach das Libertatia. Beide Angriffe konnten abgewehrt werden. Als die Rechtsextremen später bei einem zweiten Angriff das anarchistische Zentrum anzündeten, waren die Besetzerinnen und Besetzer auf einer antifaschistischen Gegenkundgebung, das Haus ungeschützt. Am Abend darauf nahmen über 2 500 Menschen an einer Solidaritätsdemonstration für das Libertatia teil. Starke Polizeikräfte griffen die Demonstrierenden mit Tränengas und Blendschockgranaten an.
Ein neues Dach für Libertatia
Die Fortschritte beim Wiederaufbau der Ruine sind beeindruckend. Das neue Dach ist fast fertig. Zwischendecken werden eingezogen und im kleineren Hinterhaus sind einzelne Räume schon verputzt und gestrichen. Am schlimmsten sei es gewesen, betont eine Aktivistin, die Tonnen von Bauschutt und verbrannten Balken zu entsorgen. Wochenlang habe man Dreck geschippt. Danach sei es besser geworden, doch es gehe nur langsam voran. Dies liege einerseits am Geldmangel, dann sei noch der Corona-Lockdown hinzu gekommen, und nicht zu vergessen die andauernde Repression durch die Polizei. Wiederholt seien während der Bauarbeiten starke Polizeieinheiten angerückt, zwei Mal wurden während der Arbeit Leute festgenommen, Baumaterial sowie Werkzeuge beschlagnahmt, zuletzt am 23. August 2020. Um das Dach fertig stellen zu können mussten die Besetzer*innen zu einer Kundgebung am Haus mobilisieren. Während dann 250 Leute fünf Stunden lang um das Haus ausharrten, waren andere auf dem Dach um die Bretter zu vernageln. Das zeigte zwar an diesem Tag die momentanen Grenzen staatlicher Macht, doch kosten solche Aktionen viel Kraft.
Seit Regierungsantritt der rechten Néa Dimokratía im Sommer 2019 hat sich die Repression gegen den inneren Feind extrem verschärft. „Bürgerschutzminister“ Michális Chrysochoídis, ein ehemaliger Sozialdemokrat und Law-and-Order-Hardliner, hat die von Faschisten durchsetzten Polizeitruppen endgültig von der Leine gelassen. Noch im Sommer 2019 ließ er die meisten Flüchtlingsbesetzungen in Athen räumen, in der Folge immer wieder anarchistische Besetzungen. Brutales polizeiliches Vorgehen bis hin zur Folter von Demonstrant*innen bleiben folgenlos. Für die Beamt*innen herrscht Straffreiheit bei ihren Einsätzen gegen Geflüchtete, Kommunist*innen und Anarchist*innen. Obwohl im August 2020 das wichtige besetzte anarchistische Zentrum Terra Incognita in Thessaloníki geräumt wurde, sind die Aktivist*innen von Libertatia optimistisch. „Es ist nicht einfach uns zu räumen, da wir viel Unterstützung erhalten. Das Verhältnis zu den meisten Leuten in der Nachbarschaft ist hervorragend. Und alle sehen was hier geschieht. Gegen die rechtsradikalen Brandstifter wird nicht einmal ermittelt obwohl Filme der Tat im Netz stehen, und gegen uns laufen 16 Strafverfahren wegen Beschädigung eines Baudenkmals und illegaler Arbeiten, weil wir das Haus wieder aufbauen. Ein Baudenkmal im Übrigen, dass vor der Besetzung 2008 über 30 Jahre lang verrottete, ohne das es die Behörden interessierte die inzwischen vom Schmuckstück in der Avenue Stratoú reden.“
Das einzige erhaltene neoklassizistische Gebäude in der Avenue Stratoú wurde 1899 erbaut. Bis zu ihrem Tod 1941 gehörte es einer jüdischen Türkin, die es von ihrem Ehemann, einem in Thessaloniki tätigen türkischen Staatsanwalt, geschenkt bekommen hatte. Das Gebäude wurde Jahrzehnte zwischen staatlichen Behörden hin und her geschoben. In den neunziger Jahren gehörte es der teilprivatisierten Universität Makedonia in Thessaloniki, seit Anfang der nuller Jahre machen vier türkische Bürger aus Izmir Rückübertragungsansprüche geltend.
An der Geschichte des Hauses wird deutlich, dass die griechische Region Makedonía und ihre Hauptstadt Thessaloníki nicht immer so griechisch und christlich-orthodox waren, wie Nationalisten behaupten. Bis vor nicht einmal 100 Jahren lebten in der Stadt über 70 000 Türkinnen und Türken, rund 60 000 sephardische Jüdinnen und Juden sowie 30 000 Griechinnen und Griechen, zudem Sinti und Roma, bulgarische, slawische und albanische Minderheiten. 1922/1923 wurde die türkische Bevölkerung im Zuge des griechisch-türkischen Bevölkerungsaustauschs vertrieben. Die jüdische Bevölkerung wurde 1942/1943 in deutsche Konzentrationslager deportiert und ermordet. Viele Griechinnen und Griechen haben diesen Teil der Stadtgeschichte verdrängt.
Nach den erfolgreichen 3-tägigen Feierlichkeiten zum 12-jährigen Besetzungsjubiläum Mitte Oktober 2020 gelang es den Besetzerinnen und Besetzern Ende November ohne weitere polizeiliche Störung die schweren Teerbahnen zu verlegen. Das Dach ist damit kurz vor Beginn der Regensaison winterfest. Um den Wiederaufbau des Hauses als antifaschistisches Zentrum im kommenden Jahr ein gutes Stück voranzutreiben, startet nun im Winter eine Spendenkampagne.
Text: Ralf Dreis, Thessaloníki
Bilder: Leftéris Epanastátis, Thessaloníki
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