Rede zur Demonstration „Wiesbaden gemeinsam gegen Rechts – für Toleranz und Vielfalt“ von Dr. Michael Wilk am 24.08.2024
Der Anlass für unsere Demonstration sind die bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Zu befürchten sind hohe Stimmanteile für Rechtsaußen – für die AFD.
Wir, die wir hier stehen, wissen:
Die AfD steht in besonderer Form für Rassismus, Antifeminismus, Antisemitismus und eine Leugnung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Faschistische Positionen werden offen vertreten. Ihre Positionen zu sozialen und ökologischen Fragen sind existenzbedrohend. Die AfD greift das Prinzip der Menschenwürde frontal an. Zu behaupten, die AFD „polarisiere“ ist beschönigend.
Die AFD hetzt, spaltet, lügt. Über das kontinuierliche Bedienen von Bedrohungs-Legenden hat sie es geschafft, vor allem in der Hetze gegen Geflohene, rassistisch-nationale Stimmung gefährlich anzuheizen. Sie ist längst gefährlicher Schrittmacher völkisch-totalitärer Ideologie.
Doch nationalistische Propaganda, rassistische Ideologie und menschenfeindliche Politik sind kein Alleinstellungsmerkmal der AFD.
Sie ist nur die Spitze des Eisbergs.
Zunehmende Enthemmung und steigender Alltagsrassismus reicht in Denk- und Handlungsreflexen längst bis in alle Bereiche der Gesellschaft und das mit steigender Tendenz. Diskriminierende Botschaften, rassistische Impulse, chauvinistische Interpretationen und Lügen werden (nicht nur in sozialen Medien) aufgegriffen, hunderttausendfach verstärkt und verbreitet. Die daran beteiligten „ganz normalen“ Menschen sind weniger Opfer im Sinne einer Verblendung, sondern ebenso Agierende eines massenpsychologischen Prozesses, in dem Rassismen, „alternative Fakten“ und Verschwörungstheorien, sozial vernetzte, gefährliche Dynamik entfalten. Sie finden Ausdruck in „Deutschland den Deutschen“ singenden Wohlstandskids (und das nicht nur auf Sylt), oder auch in Bürgerinitiativen, z.B. gegen ein Heim für Geflohene in der Lessingstraße zu Wiesbaden. Die Anwohner*innen argumentieren hier unverfroren mit der suboptimalen Unterbringung der Geflohenen, befürchten vermutlich jedoch den Wertverlust ihrer Häuser – oder das „Fremd-Bedrohliche“ an sich.
Wir stehen hier, um auch auf diese Dinge hinzuweisen. Es geht schon länger nicht mehr nur um plumpe Faschismus-Parolen, sondern um die subtilen Alltagschauvinismen, in denen sich gefährliche Verrohung und Unmenschlichkeit zu etablieren droht!
Die menschenfeindlichen Positionen der AfD sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch die etablierten Parteien (aber auch die Sarah Wagenknecht- Partei) sind hier keine Ausnahme. Sie alle bedienen sich – die einen mehr, die anderen weniger- inzwischen der Impulse, die von rechts außen geliefert werden. Zwar distanzieren sich demokratische Parteien wortreich von den undemokratischen Absichten der AFD, fischen jedoch selbst populistisch im Trüben und übernehmen de Facto zunehmend Positionen und Inhalte. Die oft zu hörende Behauptung, damit den Zustrom zu der offen mit faschistischen Parolen agierenden AFD ausbremsen zu können, ist jedoch gefährlich und falsch.
Wir sagen ganz klar: Die Übernahme völkischer Argumentation, z.B. dem Narrativ von der Schwächung deutscher Sozialsysteme durch Geflohene, dient nicht der Bekämpfung, sondern führt zur Legitimierung menschenfeindlicher Ideen. Auf allen Ebenen etablierter Politik, ob Kommunal-, Landes-, Bundes- und Europapolitik, finden sich zunehmend Anleihen von ultrarechter Ideologie und deren praktische Umsetzung. Dagegen wehren wir uns, wir stehen dagegen und sagen Nein!
Deshalb noch einmal: Die Übernahme totalitär-rechter Parolen aus populistischen Gründen, zum eigenen Machterhalt, oder in der irrigen Absicht damit die Stimmen der AfD zurückgewinnen zu können, hat fatale Folgen: Sie führt nicht nur zur gesellschaftlichen Verfestigung dieser unmenschlichen Ideen, sondern sie mündet auch in unmenschlichen Entscheidungen. Die Folge ist eine klar erkennbare Beschädigung demokratischer Prinzipien, Menschenrechten und sozialer Sicherung.
Zu Tage tritt zunehmend eine Politik, die schon vor der drohenden weiteren Etablierung der AfD, deren menschenfeindliche Parolen politisch umsetzt. Am deutlichsten zeigt sich der politische Vollzug von Spaltung und Hetze im Umgang mit Geflohenen.
Erlaubt mir dazu ein paar Worte, um zu zeigen was ich meine:
In einzigartigen Hetzkampagnen werden Menschen, die z.B. aus den Kriegszonen Syriens, vor totalitären Regimen oder auch aus den Hungerregionen Afrikas unter Einsatz ihres Lebens über das Mittelmeer fliehen, zu einer Bedrohung des „Abendlandes“, zu „Dauerschmarotzern“ und zu generell Kriminellen aufgebaut. Es bleibt jedoch nicht bei der Hetze, nach Schüren von Wut und Hass ist es schlecht möglich nur Absichtserklärungen abzugeben. Im Bemühen die Verteidigung der „deutsch-abendländischen“ Kultur nicht der AFD zu überlassen, werden Tatsachen geschaffen, Geflohene abgewiesen, Todesgefahren ausgesetzt, oder der Versklavung in lybischen Lagern überantwortet. Dinge ändern sich unter populistischer Dynamik radikal, vor allem die moralischen Maßstäbe eigenen Regierungshandelns.
Der einmal postulierte Anspruch sozial und demokratisch zu handeln (SPD) oder gar feministische Außenpolitik zu praktizieren (Baerbock) werden zu sinnentleerten Worthülsen.
Längst gilt nicht mehr ausgleichende Sozialpolitik als Gradmesser „guter“ Regierungspolitik, sondern „das härteste Genderverbot“ und vor allem gesteigerte Abschiebequoten.
Längst werden Tausende tote Menschen im Mittelmeer mit einem Achselzucken kommentiert, Internierungslager auch für Familien mit Kindern an den Grenzen und an Flughäfen forciert, Abschiebungen nach Albanien oder Afrika als gangbare Option verkauft.
Wie mache von euch wissen, bin ich seit Jahren als Notarzt immer wieder in Kriegszonen des Nahen Ostens aktiv. Ich erlebe, dass Menschen aus guten Gründen und existenzieller Not die Risiken der Flucht auf sich nehmen. Anstatt jedoch die Fluchtursachen zu bekämpfen, nehmen staatliche Maßnahmen zunehmend die Geflohenen ins Visier.
Die für diese Strategie verantwortlichen Politiker*innen als auch der applaudierende Mob, fühlen sich im Recht: Die zufällige Gnade einer Geburt in Mitteleuropa berechtigt offensichtlich dazu seinen Besitz- und Wohlstand hemmungslos zu verteidigen. Rechtstaatlichkeit wird populistisch-rechten Prämissen angepasst, humanitäre Werte werden nur noch dann gefordert, wenn es den eigenen Herrschaftsinteressen dient.
Wir sagen ganz klar: Die zufällige Gnade in Europa geboren zu sein, berechtigt uns nicht zu verantwortungslosem, unmenschlichen Handeln. Angezeigt ist vielmehr eine gewisse Demut, und ein Handeln in Selbst- und vor allem in Mitverantwortung gegenüber anderen.
Europas Politik gegenüber Geflohenen und Migrierenden ist tödlich, ja mörderisch. „Im Jahr 2024 (Stand: 24. Juni 2024) sind mindestens 1.045 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer gestorben. Seit dem Jahr 2014 sind bis zu diesem Zeitpunkt rund 29.949 Geflüchtete im Mittelmeer ertrunken.“ (Quelle Statista 2024).
Vor allem durch die Klimakrise, die sich katastrophal im globale Süden auswirkt und militärische Konflikte, werden immer mehr Menschen zur Flucht und Migration gezwungen.
Die EU und die Bundesregierung reagieren auf diese Tatsache mit einer Verschärfung der Abschottung. Illegale Pushbacks, bis hin zu Attacken auf Boote mit Geflohenen, mit z.T. tödlichem Ausgang, werden geduldet bzw. nicht konsequent verfolgt. Korrupte diktatorische Regime (Libyien, Türkei, Ägypten usw.) werden für Kontroll-Hilfsdienste mit Milliardensummen an Steuergeldern unterstützt. Geld das für verbesserte Lebensbedingungen und Hilfsmaßnahmen in den Fluchtländern fehlt. Wer so agiert, wird auch den Einsatz von Schusswaffen (der schon jetzt vorkommt) gegen Menschen auf der Flucht forcieren.
Was wir erleben, ist eine barbarische Verrohung, ein skrupelloses über Bord werfen jeglicher humanitärer Ansprüche. Was sich im Mittelmeer und an den Außengrenzen Europas offenbart, ist politisches Kalkül das über Leichen geht.
In der Durchsetzung dieser Maßnahmen offenbart sich nicht nur ein Zurückweichen vor dem rechts-populistischen Druck von AFD und Co., sondern – und das ist das perfide- ein Aufgreifen und Reproduzieren altbekannter rassistischer Muster. Eine rechts-populistische Dynamik entfaltet sich in der Mobilisierung von Ängsten einerseits und dem Angebot einer identitären Mental-Droge andererseits: Die Zugehörigkeit zur deutschen Volksgemeinschaft als Wert an sich- selbstredend exklusiv für „Bio“-Deutsche. Die durchschaubare Absicht sich selbst durch „Deutschsein“ aufzuwerten und Überlegenheitsgefühle zu wecken, ist angesichts der deutschen Historie geradezu bizarr, ekelhaft und verwerflich genug. Sie wird jedoch erst richtig brisant durch die damit zwangsläufig verbundene Abwertung anderer, eben sogenannter „Nicht-deutscher“.
Vorerst werden vor allem Fremde und Geflohene zu Opfern dieser faschistischen Abwehrreaktion, doch schon zeigen sich üble Reaktionen auch auf andere, die als Minderheiten zu Störenfrieden der „gesunden“ sozialen Gemeinschaft erklärt werden. Sozialhilfeempfangende, LGBTQ-Menschen, Wohnungslose, zunehmend auch Menschen mit Behinderung werden nicht mehr als Mitmenschen wahrgenommen, sondern als anders, minderwertig und nachrangig. Auch sie bieten sich als Sündenböcke im Verteilungskampf um verknappende Ressourcen an, als abweichendes störendes Element deutscher Befindlichkeit und als fiktive Bedrohung des Wohlstands. Es bietet sich an, hierbei Ängste und Sorgen aufzugreifen und nach rassistischen Mustern umzulenken, die nicht selten ihren Ursprung weniger in fiktiver Angst vor Fremden, sondern in ganz realen gesellschaftlichen Problemen haben: Billiglöhne, Altersarmut, Gentrifizierung, ein sich rasant verknappender und verteuernder Wohnungsmarkt, um nur einige zu nennen, sollen hinter einer rassistischen Drohkulisse verschwinden.
Faschistische Ideologie klassifiziert Menschen in wertvolle und unwerte, grenzt ein und aus, definiert ein oben und unten. Es liegt an uns dieser Extremform des Sozialchauvinismus Einhalt zu gebieten. Gegen den Reflex einer Ellenbogengesellschaft, die Solidarität zum Unwort erklärt und den Blick auf die eigentlichen Verhältnisse trübt: Dass es mehr als genug für Alle gäbe, wäre der Reichtum nur anders verteilt.
Wir erteilen totalitären „Lösungen“ und autoritärem Denken und Handeln eine Absage. Wir setzen auf Menschlichkeit und verantwortliches Handeln.
Wir lehnen Faschismus, Nationalismus und Rassismus ab. Ausgrenzung und Entwertung anderer Menschen darf niemals die Antwort auf die sich zuspitzende gesellschaftliche Situation sein. Klimakatastrophe, Verarmung, Totalitarismus und Kriege bekämpfen – nicht die Betroffenen.
Ich danke euch.