Redebeitrag von Ralf Dreis für den AKU am 29.04.2021

Systemwandel statt Normalität!

Hey Leute, schön das ihr hier seid. Obwohl der Anlass – wie so oft – mal wieder Scheiße ist. Da vorne, in Sichtweite, sammeln sich die rechten Hetzer der AfD unter der absurden Parole „Freiheit statt Lockdown“. Sie fordern „Deutschland aufzumachen“ und die Rückkehr zur so genannten Normalität. 

Dazu ist zu sagen: Es verdreht den Begriff der Freiheit ins Perverse, wenn ihn reaktionäre Demagogen im Munde führen, die jede und jeden verfolgen oder ausweisen wollen, der oder die nicht ins deutsch-völkische Bild ihrer Volksgemeinschaft passt. 

Des weiteren gibt es keinen Grund, sich eine Rückkehr zur angeblichen Normalität zu wünschen. Denn trotz oder gerade wegen der seit mehr als einem Jahr grassierenden CoViD 19 Pandemie bleibt eines für uns klar:  Wir brauchen keine Rückkehr zu dem was vorher war, sondern einen radikalen Systemwandel!

Aktuell, mit den seit Wochen übervollen Intensivstationen und inzwischen zehntausenden Toten, kann es nicht darum gehen „Deutschland aufzumachen“ – wie es die AfD fordert. Und es kann ebensowenig darum gehen, die oft sinnfreie, obrigkeitsstaatliche Politik der Bundes- und Landesregierungen während der Pandemie einfach hinzunehmen.

In Anbetracht der von wahlkampftaktischen Überlegungen bestimmten Corona-Politik einzelner Landesfürsten…

In Anbetracht der politischen Entscheidung auch in Wiesbaden Verschwörungstheoretiker, Nazis, Reichsbürger und sonstige für uns alle gefährliche Spinner, ohne Mundschutz und ohne Abstand durch die Stadt laufen zu lassen und linke Gegendemos zu behindern und zu verbieten…

und in Anbetracht der nun verhängten bundesweiten nächtlichen Ausgangssperre, die uns erneut individuell einsperrt, damit bei Amazon, VW, bei Hackle, Dykerhof oder in den Schlachthöfen von Tönnies weitergeschuftet werden kann…

… in Anbetracht all dessen, langt es nicht mehr gegen Nazis und Coronaleugner*innen auf die Straße zu gehen und die – ich wiederhole – oft sinnfreien staatlichen Maßnahmen leise murrend hinzunehmen.

Als Linke, als Ökolog*innen, als Anarchist*innen, Feministinnen, als Autonome – waren wir zu lange, viel zu ruhig. Manchmal schon fast staatstragend, und zu sehr darauf bedacht, Corona-Maßnahmen gegen Nazis und Coronaleugner*innen zu verteidigen. Dabei ist es schon lange an der Zeit, unsere eigenen Kämpfe und unsere Widersprüche zur Coronapolitik auf die Straße zu tragen. Und dazu gehört momentan, die Forderung nach einem bundesweiten, am besten EU-weiten, solidarischen Lockdown vehement in den Vordergrund zu stellen, statt sich nächtliche Aktivitäten verbieten zu lassen. 

– Das heißt, statt passiv zu verfolgen, wie die Folgen der Pandemie auf den/die Einzelne/n abgewälzt werden, müssen wir endlich die Schließung von Amazon, aller Fabriken, Schlachthöfe, Großraumbüros, der Autoindustrie u.a. bei Lohn- und Arbeitsplatzgarantie auf die Tagesordnung setzen.

– Es heißt, bis zur Eindämmung des Infektionsgeschehens sollten nur noch Krankenhäuser, überlebenswichtige Betriebe der Wasser- bzw. Energieversorgung sowie Produktion und Verkauf von Lebensmitteln weiterlaufen.

– Solidarischer Lockdown heißt, endlich die Freigabe der Impfstoffpatente durchzusetzen. Entgegen dem Profitinteresse der Konzerne müssen die Menschen armer Länder gleichberechtigten Zugang zu Impfungen haben.

– Solidarischer Lockdown heißt, es muss ein sofortiges Moratorium für Zwangsäumungen bei Mietschulden geben.

– Solidarischer Lockdown heißt, es muss EU-weit das Überleben kleiner Betriebe und Geschäfte garantiert werden.

– Es heißt, die eingesperrten Flüchtlinge in Griechenland müssen sofort aus den Lagern nach Europa evakuiert werden.

– Solidarischer Lockdown heißt auch, einen bundesweiten Mietendeckel durchzusetzen.

– Heißt endlich gute Löhne für die als systemrelevant gelobten Pfleger, Krankenschwestern und Verkäufer*innen zu erkämpfden.

– Heißt Kulturschaffende zu finanzieren.

– Und heißt natürlich den ökologischen Umbau des Systems voranzubringen.

All dies findet – ihr wisst es genau – nicht statt und ist auch nicht geplant. Im Gegenteil.

Es soll weiter gehen wie bisher. Mitten in der Pandemie, wurde von der schwarz-grünen hessischen Regierung mit tausenden von Bullen der besetzte Dannröder Forst für eine Autobahn geräumt und gerodet. Der Kohle-Tagebau frisst sich bei Garzweiler weiter durch die Landschaft. Die Aktienkurse steigen. Viele Großkonzerne verzeichnen auch in der Pandemie Riesengewinne. Trotz oder gerade weil Gesundheitsschutz der ausgebeuteten Arbeiter*innen kaum stattfindet. So sind bei Amazon FFP2-Masken in Werken verboten weil sie zu lange Pausen nötig machten!

Arbeitsrechte und individuelle Grundrechte werden europaweit weiter beschnitten, der Repressionsapparat ausgebaut. Krasse Beispiele dafür sind Griechenland, Frankreich, Ungarn, Polen… ganz zu schweigen von der Türkei oder Belarus. Für emanzipatorische Bewegungen sieht es nicht gut aus.

Schon vor einem Jahr, ganz zu Beginn der Pandemie, stellten wir fest: „Applaus ist nicht genug! 

Wir forderten eine drastische Erhöhung der Gehälter in den schlecht bezahlten Berufen mit sogenannter Systemrelevanz. Und vor dem Hintergrund des weltweiten Hauen und Stechens um Atemschutzmasken, forderten wir die Vergesellschaftung  aller Bereiche der Daseinsfürsorge – also der Energie- und Wasserversorgung, der Krankenhäuser, des öffentlichen Nahverkehrs sowie der Produktion lebensnotwendiger Güter.

Auch wurden durch die CoViD19 Pandemie viele der von uns beklagten Missstände einmal mehr überdeutlich.

Es sind die Ärmsten dieser Erde, die am härtesten von der Pandemie getroffen sind. Weder in Sammelunterkünften für Geflüchtete oder Wohnungslose hier, noch in den weltweiten Flüchtlingslagern und Armenvierteln, in beengten Verhältnissen und mit schlechter Wasserversorgung sind adäquate Hygienemaßnahmen oder auch nur Abstand halten möglich.

Die mit Steuergeld gefüllten Staatskassen werden zur Steigerung der Militärausgaben genutzt. Oder zur Unterstützung brachliegender Großunternehmen, denen dafür nicht einmal Beschäftigungsschutz für die nächste Zeit abgerungen wurde. Dagegen haben viele Solo- und Scheinselbständige sowie kleine Gewerbetreibende keine Einnahmen mehr, Lohnabhängige kein Gehalt oder sie wurden auf Kurzarbeit gesetzt.

Anstelle der geforderten Lohnerhöhung für Berufe mit Systemrelevanz, wurden die Arbeitsbedingung in der Pflege und der Landwirtschaft weiter verschlechtert.

Bis zu 12 Stunden am Stück soll das schon unter Normalbedingungen überlastete Personal der medizinischen Berufe arbeiten. In der Agrarindustrie, dürfen ausländische Erntehelfer*innen nun 4 Monate ohne Krankenversicherung ausgebeutet werden. Mit erhöhter Ansteckungsgefahr durch die Unterbringung in Mehrbettcontainern.

All das zeigt: Wir müssen uns auf heftige Verteilungskämpfe in Folge der Pandemie einstellen! Denn natürlich sollen die abhängig Beschäftigten die Rechnung bezahlen.

Schon jetzt fordert die Wirtschaftslobby die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 67 auf 69 Jahre zur Finanzierung der CoViD 19-Folgen. 

Wir sagen: Ohne Uns!

Es gibt keinen Grund, ein Zurück zur Normalität der Ausbeutung zu fordern!

Machen wir einen Schritt nach vorne. Systemwandel jetzt!

Organisiert euch mit uns:

– in Basisgewerkschaften wie der anarchistischen FAU, für den Kampf in den Betrieben

– in Initiativen wie dem AKU – für kollektive Schlagkraft in ökologischen und gesellschaftlichen Kämpfen.

Ralf Dreis für den AKU-Wiesbaden

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