Rede zur Demonstration am Fukushima Jahrestag in Neckarwestheim am 11.03.2023

„Atomare Desaster und Atommüll verhindern…“

Audiolink: https://neckarwestheim.antiatom.net/images/stories/audio/230311-Michael%20Wilk.mp3

Liebe Anwesende, 

wir stehen hier, um an das atomare Desaster von Fukushima zu erinnern. Die am 11.3.2011 durch ein Seebeben ausgelöste Kernschmelze in drei japanischen Reaktoren und deren Folgen widerlegte auf grauenhafte Weise eine bis dahin immer wieder postulierte Lüge von der überlegenen Sicherheit westlicher Technologie.  Die zuvor gerade einmal 25 Jahre zurückliegende Atomare Katastrophe von Tschernobyl vom 26.4.1986, war bis dato als „sowjetische“ Katastrophe und Versagen östlicher Technologie definiert worden. 

Die Geschichte der Atomtechnologie – der zivilen wie auch der militärischen- ist eine Aneinanderreihung von Lügen und politisch-propagandistisch forcierter Amnesie. Die Lügen sollen über einen skrupellosen Umgang mit Mensch und Natur hinwegtäuschen -die Amnesie unzählige Tote und erkrankte Menschen und verseuchte Gebiete vergessen machen.  

Mensch und Natur wurden einer Technologie geopfert die nicht nur Macht und Profit garantierte, sondern auch noch die Energiewende massiv ausbremste. Das Lügen-Mantra von der sauberen, billigen und grenzenlos vorhandenen Energie, propagiert von Betreibern und etablierter Politik, klingt uns noch im Ohr- über Jahrzehnte verbreiteter Unsinn, der dazu diente die Milliardengewinne der Energiekonzerne propagandistisch abzusichern. 

Auf der anderen Seite wir. Unser gemeinsamer über viele Jahrzehnte zunehmender Widerstand gegenüber atomaren Anlagen und unsere hartnäckige Aufklärungsarbeit veränderte die Wahrnehmung von Atomarer Energie.  Das Misstrauen wuchs, die Desaster von Tschernobyl und später Fukushima verstärkten den politischen Druck massiv. Atom war nicht mehr mehrheitsfähig. 

Spätestens nach Fukushima musste die Politik den Versuch unternehmen den offensichtlichen gesellschaftlichen Dissens und den zunehmenden Protest zu befrieden. Im Sommer 2011 wurde die Stilllegung von acht alt-AKW gesetzlich beschlossen. Die restlichen AKW sollten bis Ende 2022 endgültig vom Netz. Während Union, SPD, FDP und auch die Grünen mehrheitlich zustimmten, verwiesen wir auf die Gefahren des Weiterbetriebs, aber auch vor allem auf die weiter ungeklärte Entsorgungsproblematik atomaren Mülls. 

Wir zweifelten am Wahrheits- und Realitätsgehalt der Stilllegungsabsicht. 

Konsequent forderten wir die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen, forcierten den Widerstand gegen unsichere Atommülltransporte und Lager. 

Und wir forderten den Ausbau der Erneuerbaren und die Dezentralisierung der Stromerzeugung. 

Politik und Großkonzerne setzten jedoch lieber auf konzernabhängige Offshore-Produktion und verschleppten Wind und Sonne. 

Das Ergebnis ist bekannt: Im Februar 22, führten der Angriffskrieg Putins und die Drosselung der vom autoritären Regime billig gelieferten fossilen Energie zu einer drohenden Energieknappheit.

Die Verunsicherung kam einigen recht. Das düstere Szenario eines Energie-Blackouts, wurde von um Profilierung bemühter FDP, oppositioneller Union und der AfD populistisch gepuscht. Kurz vor der Abschaltung der letzten laufenden AKWs wurde die Fortsetzung des AKW Betriebs gefordert. Geflissentlich wurde der für die Krise ursächliche verschleppte Ausbau der Erneuerbaren und die Abhängigkeit von fossiler Regime-Energie argumentativ übersehen. Die Troika der Atom propagandistischen Parteien FDP, CDU und AfD fordert eine Verlängerung der Laufzeit von AKWs über 2023 hinaus, auch der Neubau von AKWs wird diskutiert. Die Argumente sind wie gewohnt fadenscheinig und verlogen: So bemüht ausgerechnet der Chef der „für freie Fahrt-FDP“ Lindner die deutsche CO2 Bilanz und propagiert Atom. 

-Wir jedoch wissen, Atomkraft ist nicht klimaneutral, weder im Abbau und Transport von Uran, noch in der Produktion von Brennstäben, ganz zu schweigen von der Atommülllagerung. 

-Unterschlagen werden in der populistischen pro AKW Propaganda (wie gewohnt) Faktoren postkolonialer Ausbeutung und der Zerstörung von Natur in den Abbaustätten Brasiliens, Namibias, Kasachstans und gesundheitliche Schäden, verursacht durch Kontaminationen, beginnend im Abbau, der weiteren Verarbeitung bis hin zur Entsorgung, dem durch Strahlungsdauer bedingten Faktor Zeit und Unfällen.

-In den atomfreundlichen Slogans finden sich natürlich keine Verweise auf die Folgen und Kosten der gestiegenen Leukämieraten in der Nähe von Wiederaufbereitungsanlagen, keine Erwähnung des Gefahrenpotentials durch kriegerische oder terroristische Angriffe, keine auch nur ansatzweise plausible Idee zur Lagerproblematik hochradioaktiven Gifts über hundertausende von Jahren. 

In der aktuellen Energiedebatte trieben vor allem FDP und CDU Rot/Grün vor sich her. Zeitgleich bleibt ein Tempolimit als sofort wirksame Maßnahme zur CO2 Reduktion in der BRD weiterhin ein Sakrileg am ungebremsten Fahren undiskutierbar und wird auch von keiner der Regierungsparteien gefordert. 

An dieser Stelle einmal die Klarstellung: Wir werden uns als Anti-AKW-Bewegung nicht abspalten lassen von der Klimabewegung, viele von uns (ich auch) waren selbstverständlich in Lützerath und sagen ganz klar- wir sind eine Bewegung und untrennbar verbunden. Das betrifft auch den Versuch unsere Bewegungen zu diskreditieren und zu kriminalisieren. Deshalb auch hier an dieser Stelle eine eindeutige Klarstellung: Wer ist in diesem Land und in diesem Zusammenhang eigentlich kriminell? Die, die gegen Kohleverstromung oder gegen Atomkraftwerke protestieren oder die Betreiber und Energiekonzerne?  

Ich bezeichne den Betrieb von Atomanlagen schon lange als Körperverletzung. Eine Körperverletzung die staatlich bewacht, gefördert und gesetzlich abgesichert ist. Wer atomare Gifte produziert, die Risiken kleinredet, eine ungeklärte Entsorgung über tausende von Jahren Folgegenerationen aufbürdet- handelt kriminell. Nicht die Menschen, die auf die Straße gehen um diesem Treiben ein Ende zu setzen, nicht die Menschen die in Gorleben die Castoren blockierten und die Strecken lahmlegten, sind kriminell und gewalttätig – sondern diejenigen, die die Methode „Profit ohne Skrupel“ staatlich legitimieren und absegnen. Das gleiche gilt für den Betrieb von Kohlegruben oder deren Besetzung. Widerstand ist vielleicht nicht immer legal- aber er ist legitim und notwendig. 

Ich denke es kann getrost unterstellt werden, dass es in der Debatte um Laufzeitenverlängerung nicht um die –nunmehr auch nicht eingetretene- Energieknappheit ging, sondern um Profilierung und Spaltung. Andererseits blieben weder Grüne noch SPD hart, sondern wollten die Debatte vom Tisch. Politischer Zweckpragmatismus und das Dogma eines bedingungslosen Primats der Ökonomie, ließen vor allem vormals Grüne Postulate Makulatur werden. Verantwortliches politisches Handeln definierte sich wieder einmal nicht an Wahlversprechen, sondern wurde umdefiniert in „verantwortungsbewusste Regierungsfähigkeit“. Die Folge war: Ein zum Himmel stinkenden fauler Laufzeit-Kompromiss, der potentiell die Tür für einen Weiterbetrieb von Akws öffnete, ein Kotau vor menschenrechtsverletzenden Scheichs und die Schaffung neuer fossiler Infrastruktur incl. Fracking. (Auch über die rapide Wandlung einer Partei von Grün in Oliv–Grün incl. aller militärstrategischen Prämissen ließe sich trefflich streiten) Das über Bord werfen von Prinzipien und Versprechungen hat leider Tradition.  

Schon der Atomkonsens von Rot/Grün 2001 war ein fauler Deal. Mit Teilabschaltungen und gedrosselten Strommengen nutzten die AKW- Betreiber die im Vertrag angelegte Lücke, um sich an den geplanten Abschaltterminen vorbei, in weitere Legislaturperioden zu mogeln. Unvergessen, dass in einer Pressemitteilung des deutschen Atomforums (der AKW Betreiber) von 2004 das „Engagement“ der rot-grünen Bundesregierung bei der Umsetzung des Atomkonsenses gelobt wurde. So laufe der Betrieb der Kernkraftwerke im Großen und Ganzen „frei von politischen Störungen“. Dies gelte „insbesondere für die Gewährleistung der Entsorgung der abgebrannten Brennelemente aus den Kernkraftwerken“. Eine Verstopfung der Kernkraftwerke infolge nicht abtransportierter abgebrannter Brennelemente sei „nicht mehr zu befürchten“. Besonders gelobt wurde damals ein gewisser Umweltminister Trittin unter dessen Engagement Zwischenlager an den einzelnen AKW durchgesetzt wurden. 

Schon damals zeigte sich eine grüne Anpassungsstrategie, orientiert nicht an ursprünglich propagierten Zielen, sondern am Machterhalt. Macht korrumpiert, viel Macht korrumpiert viel und schnell. So fielen Entscheidungen, die Weichenstellungen für die atomfreundlichen Jahre der folgenden Regierungen legten. Neben der Gefahr radioaktiver Unfälle steht der Umgang mit hochgiftigem Atommüll exemplarisch für chronisches Versagen der Politik. 

Weltweit ist bis heute kein sogenanntes Endlager für hochradioaktiven Atommüll in Funktion. Über Jahrzehnte diente der politstrategisch als geeignet definierte Salzstock in Gorleben als Entsorgungsnachweis – Bedingung für den Weiterbetrieb der AKWs – unsicher für die Einlagerung von Atommüll- sicher jedoch als Beleg für die menschengefährliche und verbrecherische Absurdität deutscher Politik. Es brauchte über 40 Jahre Protest und Widerstand bis 2020 die inzwischen eingerichtete Bundesgesellschaft für Endlagerung den Standort als ungeeignet ausweisen musste. Das zur Zeit gültige Standortauswahlgesetz sah  einen Standort-Ergebnis  für ein Endlager bis 2031 vor, ein nicht umsetzbarer Termin. Auch der nun propagierte Termin 2068 erscheint utopisch.

Das heißt nicht nur wir, sondern tausende nachfolgende Generationen werden sich mit den Folgen verantwortungslosen politischen Handelns auseinandersetzen müssen. Atomare Altlasten, 1900 Castoren angefüllt mit über 10.000 Tonnen hochradioaktiven Mülls, Unmengen mittel und schwachstrahlende Abfälle.  

Unübersehbar steigt der Druck der Lagerproblematik. Auslaufende Genehmigungen für die 16 Zwischenlager, fehlende Containments zur Reparatur von evtl. undichten Castoren. 

Die Situation gleicht immer noch einem Geisterfahrer- in voller Fahrt- bei Nebel.

Ich will damit sagen- auf die etablierte Politik ist kein Verlass. Es liegt an uns den Druck aufrecht zu erhalten.

Wenn am 15. April 2023 die letzten drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke in Lingen, Landshut/Isar und Neckarwestheim endlich endgültig abgeschaltet werden, ist dies ein Ergebnis unseres Wirkens und bedeutet einen Grund zur Freude. Aber es bedeutet leider nicht das Ende und den kompletten Ausstieg aus dem Atomgeschäft. Und damit auch nicht das Ende unserer Aufmerksamkeit und Protestbereitschaft.

Die Atomfabriken in Gronau und Lingen sind weiter in Betrieb, eine Schließung ist nichtabsehbar. Im Gegenteil- die Produktion von Brennelementen und die Urananreicherung zur Versorgung internationaler ziviler und militärischer Atomwirtschaft soll sogar ausgebaut werden. Durch den Weiterbetrieb von Gronau und Lingen werden international Pannenreaktoren am Laufen gehalten. Darüber hinaus sichert sich Deutschland die Option eigener Atomwaffenproduktion. 

Die Brennelementefabrik „ANF Lingen“ ist im Besitz der französischen EdF-Tochter Framatome. Es besteht eine Kooperation mit dem russischen Atomkonzern Rosatom.  Frankreich und Russland werden im Emsland nuklearen Brennstoff für Atomkraftwerke in aller Welt herstellen. Fast unnötig zu betonen, dass ausgerechnet der Atomsektor bei den aktuellen Sanktionen gegen Russland ausgenommen wurde. 

Wir grüßen an dieser Stelle die Freunde und Freundinnen im Norden, die heute wie wir auf der Straße sind und die Schließung der Anlagen fordern. 

Wenn wir am 15.4. hier vor dem AKW ein Abschalt-Fest begehen werden wir feiern, aber es wird nicht das Ende unserer Aktivitäten sein. Atomare Strahlung kennt keine Grenzen. Und insofern geht es auch nicht nur noch um Lingen und Gronau. Wir sind gezwungen über den Tellerrand deutscher Abschalt-Erfolge hinauszublicken. 

Gerade in Frankreich setzt die Politik ungehemmt auf Atom, das Land hat seit Jahren den höchsten prozentualen Anteil an atomar erzeugtem Strom weltweit. Wenn sie denn laufen- die atomgetriebenen Generatoren, sei es aus Kühlwassermangel, oder weil sie marode sind. 17 französische Reaktoren feiern in den nächsten zehn Jahren ihren 50. Geburtstag. Im grenznahen Bure, nahe Nancy, wird an einem französischen sogenannten Endlager gearbeitet. Was sicher ist, ist überall die Unsicherheit.  Auch die immer wiederkehrenden Meldungen betreffs der AKW von Saporischschja in der Ukraine erinnern uns daran, welch eine massive Gefahr von AKW ausgeht, besonders in Kriegszonen. 

Was ist zu tun?

Vor 48 Jahren,-1975- besetzten die Badischen Bürgerinitiativen gemeinsam mit vielen Menschen vom Kaiserstuhl und aus Freiburg, aber auch aus dem angrenzenden Elsass den Bauplatz des geplanten AKW Wyhl. Der Bau des AKW scheiterte letztlich am gemeinsamen, grenzüberschreitenden Widerstand der Bevölkerung. Es war ein zutiefst beeindruckender Erfolg und ein ansteckendes Beispiel selbstorganisierten Widerstands. Den internationalen Blick und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit brauchen wir auch heute wieder, ebenso den engen Schulterschluss und die gemeinsamen Aktionen in der Klimaauseinandesetzung.

Die Anti-AKW-Bewegung hat viele Höhen und Tiefen erlebt. Sie hat es verstanden sich der Kriminalisierung zu widersetzen. Sie ist zu einer sozialen Bewegung geworden, die erbittert, aber nie verbittert erfolgreich Widerstand geleistet hat. Sie hat eigene Formen der Organisierung entwickelt, unabhängig und kritisch gegenüber staatlicher Reglementierung. Wyhl, Wackersdorf und Gorleben stehen hier für verhinderte Projekte der Betreiber und für die Entwicklung einer einzigartigen Widerstandskultur. Es gibt jedoch auch erfolgreiche Versuche der Bestechung, der Wiedereinbindung in parlamentarische Regularium der Macht.  Auch Grüner Opportunismus und fatale Kompromissbereitschaft in Sachen Atom stehen für diese erfolgreiche staatlich-herrschaftlicher Strategie. Hier ist nicht blindes Vertrauen, sondern kritische Distanz gefragt. 

Wir haben gelernt: vor allem der Druck der Straße ändert die Verhältnisse. Atomausstieg ist eben doch Handarbeit. So zeigen doch gerade die Auseinandersetzungen in Sachen „Atomenergie versus Ökologie“ den Erfolg beharrlicher Aktivität. 

Wir als soziale und ökologische Bewegung sind die Schrittmacher in Sachen gesellschaftlicher Perspektive. Wir richten uns nicht nach den Fünf Jahres Maximen der Legislaturperioden und nach politisch ökonomischer Tagespragmatik… Wir orientieren uns nicht nur an dem was Recht ist, sondern an dem was wir für richtig halten. 

Es geht in diesem Sinne nicht nur darum, gegen etwas zu sein, sondern wir sagen wofür wir sind:  Abschalten sofort ist notwendig, aber dabei lassen wir es nicht bewenden: Wir arbeiten an einem Umbau der Gesellschaft in der Mensch und Natur zählt und nicht die Maximen der Ausbeutung, Vernutzung und Profitmaximierung.

Wir stellen klar und fordern: Tschernobyl und Fukushima sind nicht vergessen, alle Atomanlagen sind hochgefährlich- weltweit abschalten sofort!

Ich danke euch.

Dr. Michael Wilk, AKU-Wiesbaden  

Video der gesamten Kundgebung: https://www.youtube.com/watch?v=mTOv4tuOAhg  

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